Geradeaus in die kurve

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Geradeaus in die kurve

Das Achslenklager von Trelleborg für Schienenfahrzeuge spart Energie und Geld – und trägt zu einer geräuschärmeren Kurvenfahrt bei.

Einen Zug um eine Kurve zu lenken, ist ungefähr, als wolle man einen viereckigen Stift in ein rundes Loch einsetzen. Die Räder und Achsen von Schienenfahrzeugen sind normalerweise starr im Winkel von 90 Grad zueinander angebracht und rollen deshalb geradeaus. In die Kurve müssen sie gezwungen werden. Eine neue Entwicklung von Trelleborg ermöglicht eine flexiblere Einstellung der Radsätze bei Kurvenfahrt.

„Für einen ruhigen Geradeauslauf bei hohen Geschwindigkeiten müssen die Räder möglichst starr und gerade zur Achse ausgerichtet sind“, erklärt Rüdiger Hack, Technischer Leiter Rail Applications bei Trelleborg Industrial Solutions. „Bei einer Kurvenfahrt sollen die Räder dagegen in dieselbe Richtung steuern.“

Das hydraulische Achslenklager – kurz HALL – verändert die Längssteifigkeit der Achsen im Drehgestell und bewirkt so eine an die jeweiligen Fahrbedingungen angepasste Einstellung der Radsätze. Ermöglicht wird dies durch einen hydraulischen Wirkapparat, der dafür sorgt, dass die Hydraulikflüssigkeit in Abhängigkeit von der Schwingungsfrequenz der Achse durch einen langen engen Kanal zwischen den beiden Hohlräumen der Einheit fließt.

Fährt der Zug schnell auf gerader Strecke, verhindert die höhere Schwingungsfrequenz im System den Fluss der Hydraulikflüssigkeit durch den engen Schlauch zwischen den Hohlräumen. Die Folge ist eine höhere Steifigkeit des Achslenklagers. Bei der Kurvenfahrt ist die Schwingungsfrequenz niedriger und die Hydraulikflüssigkeit kann sich zwischen den beiden Hohlräumen frei bewegen. Dadurch passt sich der Lauf der Räder an die Fahrtrichtung an. 

Hieraus ergibt sich ein wesentlicher Vorteil: keine lauten Fahrgeräusche in engen Kurven mehr. Das Kurvenquietschen weist darauf hin, dass die Räder sehr hohe Reibung erzeugen, was ernsthafte Schäden an Rad- und Schienenprofilen verursachen kann und ein regelmäßiges Nachschleifen oder einen Austausch erforderlich macht. Zudem wird jede Menge Energie verschwendet Die Technik der hydraulischen Achslenklager wurde 1997 entwickelt. Sie wurde zehn Jahre lang im Personenverkehr getestet, bevor 2010 die Serienfertigung begann.

„Die Eisenbahnindustrie ist sehr konservativ, und deshalb mussten wir den Markt für dieses neue Produkt schaffen, was lange gedauert hat“, erklärt Hack. Die Tests fanden in zwei Regionen statt, in denen ein konkretes Interesse bestand, die Effizienz der Rad/Schiene- Schnittstelle zu verbessern.

„Die ersten Versuche wurden in der Schweiz durchgeführt – wegen der Berge gibt es hier viele Kurven auf den Bahnstrecken“, so Hack. „Anschließend nahmen wir Tests in Großbritannien vor, wo Züge pro Tag sicherlich dreimal längere Strecken zurücklegen als in anderen Ländern, weshalb britische Bahnbetreiber an verschleißreduzierender Technik sehr interessiert sind.“ Beide Länder haben zudem ein differenziertes Trassenpreissystem: Züge, die weniger Schäden an den Gleisanlagen anrichten, kommen günstiger weg. 

Die Ergebnisse der Tests waren erstaunlich. Schätzungen von Trelleborg zufolge amortisiert sich das HALL allein schon durch die Energiekosteneinsparungen innerhalb von fünf Jahren. Rechnet man die Einsparungen bei der Radwartung hinzu, verkürzt sich die Amortisation auf 2,5 Jahre. Bezieht man außerdem noch die Gleiswartung in die Kalkulation ein, zahlt sich die Investition bereits nach zehn bis 15 Monaten aus. „Würde man alle Züge, die zwischen Dresden und Nürnberg – eine Strecke von 380 Kilometern – verkehren, mit dem HALL ausrüsten, könnte man im Laufe der durchschnittlichen Lebensdauer der Schienenfahrzeuge von acht Jahren elektrische Energie in der Größenordnung von über 20 Gigawattstunden einsparen“, behauptet Hack. „Das würde reichen, um eine Stadt von 11.000 Einwohnern ein Jahr lang mit Strom zu versorgen.“ 

Die Vorzüge sind so groß, dass eines Tages 80 Prozent aller neuen Intercity-Personenzüge in Europa mit dem HALL ausgestattet sein werden. Doch der eigentliche Markt sei der Nachrüstbereich, erklärt Hack: „Das HALL ist in verschiedenen Größen erhältlich und kann deshalb problemlos gegen vorhandene Achslager ausgetauscht werden.“ 

Erstausrüster (OEM) hätten eine besondere Vorliebe für das neue hydraulische Achslager, meint Özlem Arslan , Sales Global Key Accounts bei Trelleborg Industrial Solutions in Velten bei Berlin. „Sie stehenunter schwerem Preisdruck“, sagt sie. „Man sollte allerdings nicht vergessen, dass beim Verkauf eines Schienenfahrzeugs auch die Lebenszykluskosten ein gutes Argument sind. Hier bietet das HALL durch die Einsparungen bei den Energie- und Radwartungskosten einen Vorteil – und wenn sich Einsparungen bei der Gleiswartung in günstigeren Trassenpreisen niederschlagen, wird das Argument noch überzeugender.“ 

Es gibt Pläne für neue HALL-Versionen, die auch für Güterwagen und Lokomotiven geeignet sind, da deren Gewicht eine andere Lösung erfordert, sowie für „HALL 2.0“ – wie Hack es nennt – mit aktiver elektronischer Steuerung. „Derzeit ist das System passiv“, erklärt Hack. „Für das Einstellen der Räder in der Kurve nutzt es die selbstlenkende Eigenschaft des Drehgestells. Die Radposition ist jedoch wegen der Lagersteifigkeit nicht optimal.  Das HALL 2.0 wird in der Lage sein, über ein elektronisches Regelsystem, gesteuert von GPS, Rail Scanning und/oder Gleisdaten, die Räder aktiv zu positionieren.“

Aber auch hier ist die Branche konservativ. „Die ersten Kunden sind interessiert“, bemerkt er. „Bis sie allerdings das Regelsystem wirklich einsetzen, können noch 10 bis 15 Jahre vergehen.“

Das derzeitige HALL basiert laut Hack auf einem Konzept aus der Automobilindustrie. „Die gleiche Technologie wird in Motor- und Getriebelagern verwendet, um einen ruhigen Leerlauf und einen strafferen Fahrbetrieb bei höheren Geschwindigkeiten sicherzustellen. Das heißt, wir müssen nur die Automobilkomponenten entsprechend anpassen.“

Übertragen auf Schienenfahrzeuge ist das HALL jedoch geradezu revolutionär. Hack nennt es die erste Innovation bei Drehgestell-Federungssystemen seit Jahrzehnten – vergleichbar mit dem Sprung von Schraubenfedern zu Luftfedern in der Sekundärfederung. „Die Eisenbahnindustrie ist offenbar doch nicht ganz so konservativ, wie wir gedacht haben“, urteilt er. „Wir haben einen kleinen Beitrag dazu geleistet, das zu beweisen. 



Weitere Informationen finden Sie auf www.trelleborg.com/anti-vibration-solutions


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